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Sehnsucht - Teil 2

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen des zweiten Teils der Kurzgeschichte.

Ihr habt den Anfang verpasst? Ihr findet die ganze Geschichte hier.

 

Was zuvor geschehen war…

Die Luft stand dick wie brackiges Wasser über dem Flusstal. Trotz der hohen Felswände, die bei Tag für wenige Stunden erlösenden Schatten spendeten, hatte die Gluthitze des Sommers sich festgesetzt und auch von der Dunkelheit einer aufziehenden Nacht nicht vertreiben lassen. Wo im Frühjahr das Schmelzwasser aus dem Gebirge ins Tal herunterbrach, steckten nun Zeltnägel im ausgetrockneten Schlamm. Ein feines Rinnsal, das hin und wieder zwischen den Rissen im Erdboden auftauchte, hatte gerade gereicht, um den Durst zu stillen.

 

Obgleich Magnus sich kurz nach Sonnenuntergang sein Schlaflager bereitet hatte, lag er immer noch wach. Der tagelange Ritt steckte ihm in jedem Knochen. Draußen vor dem zurückgeklappten Zelteingang lief ein Schatten auf und ab. Der fast volle Mond schien hell genug, dass der Hauptmann dem Schemen einen Namen zuordnen konnte. Jon hielt der Hunger wach. Oder der tiefe Schnitt an seinem Oberarm, an dem die Riemen seiner Lederrüstung nachgegeben und das Schwert hatten durchdringen lassen. Der Junge brauchte einen Heiler, das machte die ganze Sache nicht besser.

 

Wie hatten sie sich nur auf dem Rückzug vom Rest des Heeres abschneiden lassen können! Es war schlimm genug, dass keiner der Kundschafter die versprengten Truppen gemeldet hatte, die ihnen nach der Schlacht durch das Gebirge nachgefolgt waren. Das kleine Scharmützel, das sie ihnen auf dem Rückweg bereitet hatten, wäre nicht von Bedeutung gewesen. Wie hatten sie sich nur verleiten lassen können, Jagd auf diese Männer zu machen, die die Berge besser kannten, als Magnus seine eigene Stadt!

 

Jon, der die ganze Zeit draußen vor der letzten Glut ihres Lagerfeuers auf und ab gelaufen war, hatte sich nun neben dem Zelt niedergelassen. Einen langen Augenblick starrte Magnus zu ihm nach draußen, bevor er das Ringen um Schlaf aufgab und an die Seite seines Soldaten trat. Dieser hatte die Knie locker mit den Armen umschlungen und sah in den Nachthimmel hinauf. Das silberne Sternenband leuchtete so klar am Firmament, man hätte jedes Gestirn einzeln zählen und den Göttern, die von dort oben auf sie niedersahen, einen Namen geben können. Eine Sternschnuppe zog einen hellen Streif vor den nachtschwarzen Himmel. Dann wieder eine. Sie schienen so nah, als könne man sie mit Händen greifen. Irgendwann fragte Jon ohne den Blick abzuwenden: „Ihr seid Euch nicht sicher, ob dieses Flusstal wirklich zu einer Siedlung führt, nicht wahr?“

 

„Ich bin sicher, dass ich den Fluss auf der Karte gefunden habe. Er führt auf eine Ebene mit fruchtbarem Boden.“

 

„Aber seid Ihr Euch sicher, dass diese Bauernsiedlungen wirklich noch bewohnt sind?“

 

Das Schweigen des Hauptmannes war Antwort genug. Sie hatten keine andere Spur, das war die Wahrheit. Jeder von ihnen war ein Fremder in diesen Bergen. Magnus versuchte nicht an das Schlimmste zu denken und beobachtete eine weitere Sternschnuppe, die hinter einer Bergkuppe verschwand. „Seht mal!“ Jon deutete in den Himmel. „Das sind viele, oder? Die Sternschnuppen. Wirklich viele!“

 

Bisher hatte Magnus nicht viele Gedanken an die Himmelerscheinung verschwendet. Nur hatte Jon Recht. Mit jedem Atemzug waren mehr Lichtstreifen am Firmament zu sehen. Sie zogen lautlos nach Westen, nach Süden, nach Osten. Der Hauptmann war sich nicht sicher, ob seine Augen ihn trogen. Doch tatsächlich -  über ihnen schien der Himmel auf einmal die Farbe zu ändern. Das Grauschwarz der Nacht wurde heller, immer blasser.

 

„Was geht hier vor?“, stammelte Jon, der nervös auf die Beine gekommen war. „Da stimmt doch etwas nicht?“

 

Magnus hatte selbst keine Erklärung. Die Sternschnuppen wurden immer mehr, schienen immer näher zu kommen. Plötzlich erglomm der Himmel taghell, von Schlieren aus sattem Blau durchzogen. Dann kam das Beben. Der Boden erzitterte. Jon schrie auf, warf sich vor Schreck auf die Knie, auf das schlimmste wartend, einen Feind, eine mächtige Erscheinung. Als rissen die Götter das Firmament auseinander, regneten bläuliche Funken auf die Erde nieder. Magnus stand wie erstarrt, wusste nicht, was er tun sollte. Kein Gefühl empfand er, als das Licht seinen Körper berührte. Das einzige, was er verspürte, war ein kurzer Ruck.

 

Dann flutete Wärme seinen Leib. Die Bilder der Nacht zerflossen vor Magnus´ innerem Auge. Die Wirklichkeit verschwamm in Wellen aus Licht, bevor sie sich neu zusammensetze. Ein Bild glitt durch seinen Geist, grüne, waldgesäumte Wiesenzüge, die baumbewachsenen Hänge eines gewaltigen Bergrückens, einsam thronend vor dem Blau des Himmels. Wellen, die sich an einer Steilküste brachen und nur ein winziger Strand, gerade groß genug, um mit einer handvoll Beibooten oder einem kleinen Schiff anzulanden. Eine unsagbare Sehnsucht ging vor dieser Szenerie aus, eine Art von Heimweh, wie der Hauptmann sie niemals gekannt hatte. Nicht nach diesem Ort – doch untrennbar damit verbunden. Sie fraß sich tief in seinen Geist, ein warmes Pulsieren, das er kaum auszuhalten schien.

 

Doch irgendetwas stimmte hier nicht! Lichtblitze zerrissen plötzlich vor seinem inneren Auge die Szenerie, begleitet von einem tonlosen Schrei…

 

„Hauptmann!“

 

Die Wirklichkeit überflutete Magnus mit der Wucht einer Meeresbrandung. Für einen Herzschlag glaubte er das Gleichgewicht zu verlieren, wähnte sich zu Boden stürzend, bis ihm klar wurde, dass er unverändert da stand. Über ihm flirrte das weiße Echo der Sternschnuppen am Nachthimmel.

 

„Hauptmann!“ Zwei Hände packten ihn, rüttelten ihn an den Schultern. Aus dem Reflex, den Angreifer von sich zu stoßen, glitt sein Bewusstsein endlich in die Gegenwart zurück. Jon stand mit schreckensweiten Augen vor ihm, sein Gesicht hatte im Mondlicht jede Farbe verloren. „Hauptmann,“ begann er ein drittes Mal, „geht es Euch gut?“

 

Magnus schluckte tief. Noch immer fehlte ihm jedes Gefühl für den eigenen Körper. Die fremden Empfindungen prickelten unter seiner Haut. Was gehörte noch zu ihm, was war Teil dieser Traumbilder? Vision und Wirklichkeit schienen miteinander zu verschmelzen. Dabei sind es gar keine Traumbilder, flüsterte seine innere Stimme und im gleichen Moment hatte er glasklar vor Augen: „Wir müssen hier weg!“

 

Jon nahm seine Worte mit Verunsicherung auf. „Natürlich…“, bestätigte er zögerlich, „Nur wohin? War das nicht die Frage?“

 

Eine Frage, deren Antwort sich ganz von alleine einstellte. Drei angstvolle Tage vergingen, zehrten ihre Vorräte auf, verloren sich in erfolglosen Suchen nach dem Weg, während die Traumbilder immer wieder vor Magnus´ Innerem Auge aufleuchteten. Je öfter er sie sah, desto stärker wuchs in ihm das Heimweh. Mittlerweile war er sich sicher, diesen Ort schon einmal selbst gesehen zu haben. Und am Abend des dritten Tages war er sich plötzlich sicher, wie man ihn erreichen konnte…

 

„Ich weiß, wohin wir gehen müssen“, sagte er plötzlich zu Jon. „Ich könnte dir eine Karte zeichnen, so sicher bin ich!“ Der Junge wich im Laufen einen Schritt vor seinem Hauptmann zurück. Dieser sah das Misstrauen in seinen Augen aufblitzen. „Da ist Magie am Werk! Ihr könnt dem nicht trauen! Hauptmann…!“

 

„Nein!“, bestürmte Magnus den jungen Mann. „Du brauchst davor keine Angst zu haben. Jetzt bin ich mir sicher. Die Götter haben uns ein Zeichen geschickt! Vertrau mir!“

 

 

 

(c) Astrid Rauner

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