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Sehnsucht - Teil 3

Viel Spaß beim lesen mit dem dritten Teil der Kurzgeschichte. 

Ihr habt den Anfang verpasst? Ihr findet die ganze Geschichte hier.

 

 

 

„Vertrau mir!“, hallten die Worte dieser Nacht in Magnus´ Gedanken nach und brachten ihn zu einem stillen Lächeln. Vertrauen war es, das in ihm gewachsen war. Entscheidungen waren in ihm wie aus dem Nichts gewachsen, und ein Teil von ihm hatte dies als beängstigend empfunden. Natürlich hatte er sich gefragt, welche Art von Kraft oder Magie hier wirkte, die ihm dieses Wissen schenkte. Als hätte er den Weg sein Leben lang gekannt, hatte er die Männer aus den Bergen heraus in die nächste Siedlung geführt. Nachts, wenn der Schlaf seinen Geist umarmte, waren die Bilder der Insel zurück zu ihm gekommen. Doch nichts Feindliches umgab sie, nichts, das ihn zweifeln ließ. Sein Leben lang mussten sie in ihm geschlafen haben. Denn er schien jeden Baum, jeden Stein beim Namen nennen zu können.

 

Egal, wie sehr sein Körper nach Rast verlangt hatte, der Hauptmann war ohne längere Pause weiter gezogen. Noch länger hätte er nicht warten können. Sein Geist verzehrte sich nach diesem Ort, dessen Bilder als verschwommene Traumvisionen durch seine Gedanken glitten, und doch schien er vor seinem Inneren Auge realer als die Wirklichkeit.

 

Und er hatte Recht behalten. Keiner hatte ihm glauben wollen. „Dort gibt es nichts,“ hatte der Kapitän der Karavelle Magnus entgegen geschmettert, als dieser allein aus seiner Erinnerung versucht hatte, den Seeweg zu beschreiben. „Ich kenne keine Schiffe, die sich schon einmal auf diese Route gewagt haben. Ins Nirgendwo segele ich nicht!“ Letztlich hatte er es für eine beachtliche Menge Goldstücke dennoch getan. Der Hauptmann besaß nun nicht mehr als das, was er am Leibe trug, und trotzdem fühlte er sich reicher, als je zuvor in seinem Leben.

 

Kalt pfiff der Wind um die Hauptmasten. Den Mantel eng um sich geschlungen trat Magnus an die Reling und starrte auf die schwarze Silhouette am Horizont, die alles war, was er erreichen wollte. Kein Mond stand am Himmel. Das fahle Licht der Sterne hätte die Schwärze kaum durchdringen können und doch war das Firmament von einem diffusen, bläulichen Leuchten erfüllt. Der Hauptmann dachte an die unzähligen Sternschnuppen und die Himmelserscheinungen jener Nacht, die ihm den Weg an diesen Ort gewiesen hatte. Eine Erinnerung daran schien noch immer zwischen den Sternen zu stehen. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft, zog sich sein Magen im Zweifel zusammen. Ob wirklich alles gerade nach Plan verlief? Magnus konnte sich darauf schlecht eine Meinung bilden. Alles, was ihn voran trieb, war ein Gefühl tief in seinem Innersten. Die Frage war also, was würde er hier finden?

 

Das Schiff trieb bis zum Sonnenaufgang mit keiner Meile Abstand vor der Küstenlinie. Das erste Tageslicht reckte gerade seine Finger über den Horizont, da hatte Magnus den Kapitän überzeugen können, die Karavelle an dem kurzen, steinigen Strand an Land gehen zu lassen. Im Morgendunst waren nun in einiger Entfernung die Silhouetten weiterer Inseln auszumachen. Alle von ihnen wirkten gebirgig. Jene, die die Mannschaft gerade ansteuerte, schien eines der kleineren Eilande im Archipel zu sein. Steil und mehrere Meter hoch fiel die Küstenlinie vor ihnen ins Meer. Nur in einem schmalen Bereich von nicht einmal einer viertel Meile Länge ergoss sich der Wald, der große Teile der Insel bedeckte, über einen Kiesstrand ins Meer.

 

Wie mechanisch verrichteten die Matrosen ihren Dienst, um das Schiff sicher an Land zu bringen. Gerade genug taten sie, bis der Kiel den Kies vor sich teilte, dann schienen sie an Deck zu versteinern. Der Hauptmann musterte verständnislos die Angst in ihren Augen. Offensichtlich fürchteten sie sich vor diesem Ort jenseits aller Seekarten, den nur die Weisheit der Sterne selbst finden konnte. Ob ihre Furcht berechtigt sein könnte, darauf verschwendete Magnus keine Gedanken. „Komm!“, wandte er sich an Jon, der die Nacht mit ihm durchwacht hatte und nun gegen die Müdigkeit kämpfte. „Wir sind fast da!“

 

Mit diesen Worten kletterte Magnus über die Reling und ließ sich mit einem kleinen Sprung in die Brandung fallen. Dies weckte Jon aus seiner Lethargie, der eilig versuchte, seinem Anführer nachzufolgen. „Was meint Ihr mit ‚fast‘?“, rief er dem Hauptmann hinterher, bevor er ebenfalls über die Schiffswand kletterte. Die erste Welle riss ihn direkt wieder von den Füßen, sobald er sich aufzurichten versuchte. Magnus hatte sich einige Dutzend Fuß vor ihm an Land gekämpft und steuerte zielgerichtet auf den Waldrand zu.

 

„HAUPTMANN!“, versuchte Jon noch einmal auf sich aufmerksam zu machen. „WONACH SUCHEN WIR?“

 

Magnus drehte sich nicht um. Flüchtig suchte sein Blick die Küstenlinie vor ihm ab, dann verschwand er bereits hinter den ersten Bäumen. Der junge Soldat stolperte aus den Wellen, stürzte mit dem letzten Schritt auf die Knie. Im Aufstehen musterte er lange die Insel, die sich in einem bewaldeten, vulkanartigen Berg zum Himmel auftürmte. Tatsächlich glich sie den Bildern jener Nacht… Jon hatte es dem Hauptmann nicht gebeichtet, doch für wenige Herzschläge hätte auch er dieses Eiland gesehen. Daher wusste er, die Sehnsucht, die den Hauptmann voran trieb, war real, schmerzte beinahe, doch bei Jon hatte sie nicht angehalten. Er traute all diesen Dingen nicht. Ein Teil von ihm fürchtete sich vor dem, was sich an diesem Ort verbarg.

 

Plötzlich stoben Vögel aus den Baumkronen auf, keine hundert Fuß zu Jons Linken. Der Blick des jungen Mannes schoss zur Seite. Für einen Herzschlag hätte er schwören können, einen Schatten zwischen den Bäumen zu erkennen. Doch zu sehen war nichts. Ohne die Augen vom Waldrand zu nehmen, zog Jon seinen Säbel. Ganz langsam näherte er sich den ersten Bäumen. Das dichte Unterholz erlaubte Jon, sich nur wenige Dutzend Fuß vor ihm umzusehen. Eine schmale Schneise verriet den Weg, den der Hauptmann genommen haben musste. Mittlerweile hörte er nicht einmal mehr dessen Schritte.

 

Jon schien das Herz in die Magengrube zu rutschen. Was tat er eigentlich hier? Niemand wusste etwas über diese Insel. Konnte sie bewohnt sein? Ein Teil von ihm drängte mit Nachdruck zum Schiff zurück. Früher oder später mussten die anderen Männer an Land kommen, um Süßwasser und vielleicht etwas Proviant zu laden. Gemeinsam würden sie wenigstens gegen mögliche Angreifer etwas ausrichten können.

 

Trotzdem hatte Jon schon jetzt beinahe die Spur seines Hauptmannes verloren. Er konnte nicht einfach umkehren! Nach wenigen Augenblicken nur war die Küstenlinie hinter den jungen Bäumen und Dornensträuchern des Unterholzes kaum mehr zu erkennen. Jedes Knacken jagte dem jungen Mann wie ein Schlag in die Rippen. Immer wieder versuchte er im Dickicht etwas zu erspähen. Umgefallene Bäume und dichtes Strauchwerk machten ein schnelles Vorankommen unmöglich. Eigentlich müsste er Magnus bald eingeholt haben, sofern er noch die richtige Richtung nahm.

 

Auf einmal erstarrte Jon in der Bewegung. Diesmal war er sich sicher! Das Knacken ein Dutzend Fuß hinter ihm konnte keine Einbildung gewesen sein. Seine Haut spannte sich weiß über den Fingerknöcheln, so fest umklammerte er den Griff seines Säbels. Der junge Soldat wagte nicht, sich umzudrehen. Er spürte einen wachsamen Blick, der ihm in den Rücken stach. Mit jedem Herzschlag rann ihm eine Perle kalten Schweißes über die Stirn.

 

„Ich…“, brachte er mit erstickter Stimme hervor. „Ich tue dir nichts! Ich suche nur einen Freund! Wir haben keine bösen Absichten!“

 

Ein Ast brach, dann noch einer – untrügliches Zeichen von Schritten, die nicht mehr geheim gehalten werden sollten. Der Beobachter wandte sich hinter Jon nach links, begann ihn zu umrunden. Der Soldat folgte seiner Bewegung, ohne sich von der Stelle zu rühren. Für einen Atemzug erhaschte er einen Blick auf eine kleine Gestalt und zerfetzte Kleider. Der Fremde gewann an Tempo, bewegte sich unregelmäßiger. Jon versuchte, ihm abwehrbereit entgegen zu stehen. Er war zu langsam.

 

Der Sekunde, in der der Schatten aus dem Unterholz brach, folgte der Schmerz des Aufpralls. Jon wurde zu Boden gerissen. Ein Körper, hager, leicht, doch von enormer Kraft, presste ihn in das Laub, riss ihn zur Seite und rammte ihm einen Fuß in den Rücken, dass Jon mit dem Gesicht in die Erde schlug. Seine Arme schmerzhaft nach hinten gezogen, hatte der Fremde ihn bewegungsunfähig gemacht. „Bitte!“, wimmerte der Junge mit Erdbrocken zwischen den Lippen. „Ich will dir nichts tun!“

 

Den Angreifer schienen Jons Worte nicht zu interessieren. Unruhig zuckte sein Körper über dem Leib des Jungen hin und her ohne dass sich eine Möglichkeit zur Gegenwehr bot. Viel zu nah spürte Jon das Gesicht des Fremden über seinem Rücken. Roch er etwa an seiner Kleidung? Dann tastete eine Hand über seine Schultern, drückte ohne Sinn links und rechts von seiner Wirbelsäule. Suchte dieser Fremde etwas? Wollte er Jon bestehlen?

 

Plötzlich begann die Gestalt zu murmeln. „Wertlos.“ Der Fremde setzte sich um, sein Knie presste sich so fest in Jons Nacken, dass dieser kaum noch Luft bekam. Panik brach über dem Jungen zusammen. Der Angreifer zerrte ihm einen Beutel von seinem Gürtel, warf ihn beiseite. „Wertlos,“ knurrte der Mann durch die Zähne, immer wieder. „Wertlos.“ Jon hörte das Geräusch eines Messer, das aus seiner Scheide befreit wurde.

 

 

(c) Astrid Rauner

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